Soziale Ungerechtigkeit: Martyna Linartas prangert Ungleichheit in Göttingen an
Martyna Linartas, Politologin und Autorin, hat bei einer Lesung an der Universität Göttingen das Thema soziale Ungerechtigkeit in Deutschland in den Mittelpunkt gerückt. Sie kritisierte, dass die Superreichen weitgehend unbeachtet bleiben und forderte, die Diskussion um Vermögensverteilung wieder auf die politische Agenda zu setzen. Die Veranstaltung wurde von Attac und den Kritischen Wirtschaftswissenschaftlern der Georg-August-Universität organisiert.
Linartas stellte fest, dass Deutschland zu den ungleichsten Demokratien der Welt zählt. Sie belegte dies mit dem Hinweis, dass die beiden reichsten deutschen Familien – die Familie Schwarz (Kaufland/Lidl) und die Familie Boehringer/von Baumbach (Boehringer Ingelheim) – mehr Vermögen besitzen als die ärmere Hälfte aller Deutschen zusammen. Um die Dimensionen zu verdeutlichen, nutzte sie ein anschauliches Bild: Würden 50.000 Euro Vermögen einem Zentimeter entsprechen, befänden sich 99 Prozent der Deutschen – also mehr als 82 von 83 Millionen – auf den ersten 30 Zentimetern über dem Erdboden, während die genannten Familien in zehn bis 20 Kilometern Höhe „fliegen“.
Vermögensverteilung | Vergleich |
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99 % der Deutschen | 0–30 cm (bei 50.000 € = 1 cm) |
Familien Schwarz & Boehringer/von Baumbach | 10–20 km |
Ein weiteres zentrales Thema war die Steuerpolitik. Linartas kritisierte, dass die Vermögenssteuer in Deutschland seit 1997 faktisch abgeschafft wurde und niemand mehr wisse, wie reich die Superreichen tatsächlich sind. Sie verwies auf den Fall Friede Springer und Mathias Döpfner, bei dem durch Schenkung von Aktien und steuerliche Kniffe der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns zum Milliardär wurde. Die Abgabe auf diese Milliarde wurde „in erheblichem Maße reduziert“, so Linartas. Sie betonte, dass sie nicht behaupten dürfe, Döpfner habe „keine“ Abgaben gezahlt, da dieser sich juristisch dagegen gewehrt habe.
Die Politologin stellte zudem fest, dass Deutschland zunehmend zu einer Erbengesellschaft werde. Der Anteil des ererbten Vermögens am Gesamtvermögen nähere sich wieder Werten aus Zeiten der Monarchie an. Die Erbschaftssteuer werde kaum noch erhoben, der De-Facto-Steuersatz liege laut Linartas bei zwei Prozent. Gleichzeitig würden jährlich geschätzt 125 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen, während die öffentliche Debatte sich auf 57 Millionen Euro Bürgergeld-Betrug konzentriere.
Steuerart | Jährlicher Betrag |
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Steuerhinterziehung | 125 Mrd. € |
Bürgergeld-Betrug | 57 Mio. € |
Linartas forderte, dass nicht nur von oben Vermögen umverteilt werden müsse, sondern auch den Ärmsten geholfen werden solle. Sie wies darauf hin, dass die Erbschaftssteuer in Deutschland erst ab 400.000 Euro pro Elternteil und Kind greife. Die Politologin betonte, dass es keine nennenswerte Finanztransaktionssteuer, keine progressive Erbschaftssteuer und keine Vermögenssteuer gebe. Gleichzeitig fehle es an Mitteln für die Ärmsten der Gesellschaft.
- Erbschaftssteuer greift ab 400.000 € pro Elternteil und Kind
- De-Facto-Steuersatz: 2 %
- Keine Vermögenssteuer seit 1997
- Keine nennenswerte Finanztransaktionssteuer
„Deutschland ist eine der ungleichsten Demokratien der Welt. Wir reden nur nicht drüber.“ – Martyna Linartas
Ein weiteres Problem sieht Linartas in den Auswirkungen des Superreichtums auf das Klima. Sie führte an, dass Superreiche mit ihrem Lebensstil zehntausende Tonnen CO₂ pro Kopf und Jahr verursachen, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung etwa 1,4 Tonnen pro Kopf ausstößt. Als Beispiel nannte sie den Weltraumflug von Jeff Bezos und Katy Perry, der in elf Minuten mehr CO₂-Emissionen verursachte als eine Million arme Menschen in ihrem ganzen Leben.
CO₂-Emissionen pro Kopf/Jahr | Gruppe |
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ca. 1,4 t | Ärmere Hälfte der Weltbevölkerung |
zehntausende t | Superreiche |
Obwohl die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und die Inflation hoch ist, konnte die Kapitalismuskritik von Linartas kein besonders großes Publikum anziehen. Zur Lesung kamen etwa 150 Menschen, die jedoch aus allen Generationen stammten und sich rege an der Diskussion beteiligten.
- Die beiden reichsten deutschen Familien besitzen mehr Vermögen als die ärmere Hälfte aller Deutschen.
- Der De-Facto-Steuersatz auf Erbschaften liegt bei zwei Prozent.
- Jährlich werden in Deutschland schätzungsweise 125 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen.
- Superreiche verursachen mit ihrem Lebensstil zehntausende Tonnen CO₂ pro Kopf und Jahr.
- Die öffentliche Debatte konzentriert sich auf vergleichsweise geringe Beträge beim Bürgergeld-Betrug.
Quellen: